Der Lindwurm
Ich blockte mit dem Karabiner, hieb einen Arm durch, stieß das Trailmaster in den Hals, beim zweiten Stoß schräg nach oben, mein Messer blieb stecken, ich wechselte auf den Karabiner, wehrte wieder ab, schlug mit dem Kolben zu, der Unterkiefer flog zur Seite. Beim zweiten Schlag erwischte ich den Nacken. Viermal Tot, auch die anderen hatten ihre Gegner erledigt. Ich reinigte mein Messer, dann waren wir an der Ecke, am Domhof. Dort drüben, am Bernward Denkmal, lagen die Reste des Hubschraubers, er war aufgeschlagen, direkt neben dem Dom, war weitergerutscht und lag nun zwischen den Bäumen, die nun der Reihe nach abbrannten. Ich versuchte mit dem Feldstecher den Vermissten zu finden, nichts. Ich winkte Huck heran, griff zum Funkgerät.
„Hühnerhabicht, hier Geier, kommen.“ Die Antwort kam sofort und meine Frage auch.
„Frage, habt ihr noch Kontakt zu dem Überlebenden, kommen.“ Die Verbindung kam zustande, es rauschte stark, immer wieder brach der Kontakt ab, ich bekam nicht einen verständlichen Satz.
„Herja, kommen.“ Bestätigung sofort.
„Wo seid ihr?“
„Nördlich des Museums, vor uns Feind, fünfhundert plus, Entfernung zwohundert, kommen.“
„Das ist nördlich des Doms, kommen.“
„Korrekt, kommen.“
„Bewegungsrichtung Feind, kommen.“
„Südlich, sie scheinen die Straße Hückedahl zu nehmen, kommen.“ Ich bestätigte kurz und sah wieder nach vorne. Wohin würde jemand flüchten, der dort runtergekommen war? Zum Dom? Möglich. Ich schob mich rüber, auf die andere Seite des Parkplatzes, an dem wir standen und sah den Weg am Domhof entlang, dann auf die Karte. Der Innenhof links, da war so etwas wie ein Innenhof beim Haus der deutschen Pfadfinderschaft. Dort würde ich mich verstecken. Meine Karte war nicht genau genug, aber es sah aus, als würde es nicht nur einen Zugang von Norden geben, sondern einen kleinen Weg von Osten und einen Weg über die Mauer von Westen. Trotzdem, ein weitgehend abgeschlossener Innenhof mit einer Menge Stein und Mauer drumherum. Ich schickte Tormann, Lemmler, Frenzen und Meißner links herum, zum nächsten Parkplatz, dann rechts, um über die Mauer in den Innenhof zu kommen. Ich wollte mit Huck auf der anderen Seite vorgehen. Huck und ich blieben dicht an der Häuserwand, schoben uns weiter. Da war noch kein Ghul, aber sie mussten dicht bei uns sein, kaum fünfzig, vielleicht hundert Meter nördlich. Die Mauer, alter Bruchstein, wunderschön, gut zwei Meter hoch, eine Ecke, dann sahen wir direkt vor uns den tunnelartigen Durchgang Richtung Pfaffenstieg im Norden. Wir sahen auch den Eingang zum Innenhof sofort, ein mit zwei monumentalen Stelen eingefasstes Willkommen, nur ein paar Meter davor. Schnelle, leise Schritte, ein Blick um die Ecke, frei. Rein, um die Mauer, nach außen sichern, keine Feindsicht. Huck zeigte auf einen feuchten Fleck, das war eindeutig Blut. Eine weitere Mauer, die Holztür darin offen und ein weitere Blutfleck. Ich sah vorsichtig um die Ecke, nichts zu sehen. Wir schoben die Tür auf, schoben uns hinein.
„Da liegt wer.“ Huck deutete etwas nach links, schwer zu erkennen, aber tatsächlich schien da auf der Wiese ein lebloser Körper zu liegen. Daneben ein leise quäkendes Funkgerät. Hin, ich schaltete das Funkgerät aus und schob es in meine Sturmtasche, die andere Hand suchte den Puls. An der Mauer saß noch jemand, zusammengesunken, vermutlich tot. Ich fand Puls.
„Huck, hin, sieh was du tun kannst.“ Die Mauern gaben uns einen Sichtschutz in jeder Richtung. Ich hörte Geräusche von Rechts, dann schob sich ein Kopf nach oben, über die Mauer, Lemmler. Ich lief hin, befahl ihm und die anderen zum Parkplatz zurück, wir waren schon vor Ort, aber die San-Tasche sollten sie rüber werfen. Huck kniete schon neben der Person an der Wand, als ich zurückkam.
„Lebt…“ Huck sah mich an, sah meinen Gesichtsausdruck und schüttelte dann den Kopf. Vorsichtig entfernte er den Helm, als ich zu dem Mann lief. Ein junger Mann, Sommersprossen, rotes kurzes Haar, ein blutverschmierter Mund. Er flüsterte etwas und deutete in Richtung der zweiten Verletzten. Dann lächelte er noch einmal und sein Kopf fiel zu Seite. Der Test an der Schlagader zeigte, da war nichts mehr zu tun. Seine Uniform war vorne blutdurchtränkt. Ich griff zu den Erkennungsmarke. Donnernd explodierte etwas vor uns und unwillkürlich duckte ich mich. Etwas flog links über uns hinweg und schlug ins Dach ein. Zertrümmerte Dachpfannen rutschten herunter und schlugen geräuschvoll auf dem Domplatz auf. Trümmerteile vom Hubschrauber, das war der Teil eines Rotorblattes, was hatten die Blitzbirnen geladen? Ich griff in die Tasche als ich den vielstimmigen Schrei hörte, von links und von geradeaus, also jetzt Norden und Osten, von hinter den Häusern und nah. Ich lief am Hauptgefreiten Huck vorbei bis zu einer Stelle, von der ich auf den Domplatz sehen konnte. Dort, hinter dem Wrack der Bell kamen sie und es waren viele. Wieder hinüber zu der Verletzten. Huck kniete neben einer Frau…im Fliegerkombi und hielt ihr seine Feldflasche hin.
„Ihr holt mich?“ Fragte die Frau leise zwischen zwei Schlucken Wasser, dann sah sie in die Runde. Sie sah mich an und dann auf die Schulterklappen. Ihr Gesicht verzog sich ungläubig.
„Wo ist der Rest? Und kleiner ging es nicht? Und wie einer der Fernspäher sehen sie auch nicht aus, Oberstleutnant. Sie sind zu…“
„Dick? Sie sehen bestimmt doppelt. Fernspäher bin ich auch nicht. Aber wollense trotzdem mit oder nicht?“ Sie lachte leise, hustete.
„Ich meinte zu alt, falscher Dienstgrad. Aber ich will mit, unbedingt. Mein Pilot ist rausgerissen worden, den haben die Ghule bekommen, der Copilot sitzt da an der Mauer. Sonst ist da ist niemand mehr außer mir.“ Ihre Stimme klang schwach, sie bekam schlecht Luft.
„Die Wissenschaftler?“ Sie schüttelte den Kopf, ganz sanft.
„Können sie gehen?“ Sie schüttelte wieder den Kopf.
„Linkes Bein, gebrochen. Wahrscheinlich Oberschenkel.“ Huck sah sie an.
„Das ist nicht alles,“ sagte ich leise, „sie sackt dauernd weg.“
„Sie wirkt auch schläfrig, ihre Augäpfel zucken dauernd und sie ist schon zweimal bewußtlos geworden. Dazu hab ich sie in die linke Hand gekniffen, sie merkt das nicht.“ Antwortete Huck leise. Ich sah die Pilotin an, sie war schon wieder weg.
„Das heißt…innere Blutungen, vielleicht Wirbelsäulenschaden.“
„Ja, und vielleicht mehr.“ Ich fluchte leise.
„Wie bekommen wir die hier weg? Der Copilot hat sie bis hierher gebracht. Das Problem mit der Wirbelsäule stellt sich vermutlich nicht mehr.“
„Tragen?“ Ich verfluchte mich, weil ich das Tragetuch nicht mitgenommen hatte. Auf der anderen Seite, mit zwei Personen war das auch kaum brauchbar. Vielleicht mussten wir sie zurücklassen, aber das würde dem Credo widersprechen, denn wir lassen niemanden zurück.
„Ok, du hilfst mir sie auf die Schulter zu nehmen. Damit komme ich recht weit. Weit genug um von dem Domplatz wegzukommen.“
„Bekommst du das hin, Oberstleutnant?“
„Ja, weiter als du, du dürrer Abiturient, aber ich brauche Feuerschutz von dir.“ Wir gingen zum Eingang des Innenhofs. Die Ghule kamen von vorne, nicht sehr schnell, aber stetig. Ich griff mir das Funkgerät von Huck.
„Herja, hier Geier, hol uns südlich der Burgstraße ab, die Durchfahrt vom Domplatz, kommen.“
„Das wir eng, Geier, die Infis sind schon mitten auf dem Pfaffenstieg. Kommen.“
„Wir beeilen uns, Ende.“
„Huck, nach hinten, zu der Mauer, ruf die anderen. Sie sollen am Gebäude nach Norden gehen, zum Hausdurchgang und uns dort in Empfang nehmen.“ Er nickte und lief los, während ich wartete, den Feind beobachtend, der nun den Hubschrauber erreicht hatte und sich über den Domplatz verbreitete. Huck kam wieder.
„Die anderen wollen hinten die Mauer durchbrechen, damit wir mit der Verwundeten durchkommen. Sie brauchen nur ein paar Sekunden, dann haben sie ein Auto.“
„Tolle Idee, aber dort kommen sie mit dem Auto nicht durch. Die Mauer ist viel zu stark. So lange kann ich aber auch nicht warten. Trimbeck kommt und ich will hier weg. Hilf mir mal.“ Gemeinsam zogen wir sie hoch und dann hatte ich sie über der linken Schulter. Es gibt bequemere Möglichkeiten jemanden zu tragen und für jemanden mit inneren Verletzungen war das auch keine sinnvolle Lösung, aber welche andere blieb mir? Ich nickte Huck zu, dann ging es los. Wir musste ja nicht weit. Diese Haus mit der Durchfahrt lag keine fünf Meter links von uns. Im Innenhof konnte wir das Haus anfassen. Ich ging hinaus, aus dem Eingang, die Frau auf den Schultern, den Karabiner in der rechten Hand. Fluchen wäre schön gewesen, aber selbst dafür reichte es gerade nicht.
„Los geht’s. Und Huck, halt mir die Vögel vom Leib. Mir ihr bin ich fast Handlungsunfähig.“ Er nickte und war voraus, ich folgte. Ich bin keine zwanzig mehr und verdammt, eigentlich war ich in ganz ordentlicher Verfassung und die Pilotin wog wahrscheinlich weniger als ihr Helm. Aber schon nach wenigen Metern lief mir das Wasser den Rücken runter und mein rechtes Knie meldete sich. Trotzdem liefen wir auf den Durchgang zu, blieben stehen, als wir die Ghule vor uns sahen. Nur vier, aber immerhin.
„GEIER, HAU AB DA, WIR HABEN DIE IM VISIER. KOMMEN.“ Klare Ansagen mag ich und dann sah ich durch den Tunnel auch schon in das Rohr des Schützenpanzers. Kein wirklich netter Anblick. Huck und ich drehten uns um und rannten. Diesmal waren wir schnell, dann donnerte es hinter uns schon und hinter mir flogen feuchte Fetzen und eine Wolke aus Resten vorbei.
„GEIER, MARSCHMARSCH, WIR HABEN KEINE ZEIT, DIE NÄCHSTEN SIND GLEICH DA!“ Trimbeck hatte offensichtlich Spaß am Kommandieren. Und wieder rannten wir, Huck und ich, zu der Durchfahrt und hinein. Etwas tropfte von oben von der Decke. Rechts von mir fiel Ekliges herab, wir rannten durch den Durchgang, der nun so viel Ekel hervorrief, dass man kaum rennen konnte. Von vorne kam jemand angerannt. Trimbeck, war abgesessen, er hatte gesehen, dass ich in Schwierigkeiten war. Ich konnte zu dem Zeitpunkt nicht sehen, dass die nächsten Ghule schon dicht hinter uns waren.
„Silberfuchs, hier Herja, eine Verwundete geborgen. Frage Evac, ASAP, Bergetupp ist auf dem Rückweg. Kommen.“ Ich freue mich immer wenn jemand mitdenkt und das war so ein Moment und die Stimme von Korbach. Aber eine Antwort hörte ich nicht. Dann Trimbeck, brüllte nach hinten.
„HIERHER UND MARSCHMARSCH. FRENZEN, TORMANN, DAS BERGETUCH!“ Die Männer hetzten zum Panzer.
„Zwei Mann nähern sich zur Übernahme Verwundete, Geier, sind gleich bei euch,“ das war Lipps über Funk, „Bergetuch…dabei…Ende.“ Sie hatte Sorge, dass ich wir die Jungs für Ghule halten könnten. Ich hörte die Kanone schießen und die Explosionen der Geschosse, vermutlich irgendwo rechts. Ich hatte den Ausgang des Durchgangs fast erreicht, als etwas schrie, dicht rechts bei mir und mich fast umwarf. Ich wollte herumwirbeln als Huck schon bei mir war.
„Ruhig, der ist hinter dem Fenster, gerade keine Gefahr.“ Ich lief weiter, tapfer und mit zusammengebissenen Zähnen auf den Ausgang zu.
„Scheiße,“ sagte Huck und dann, „weiterlaufen. Einfach weiterlaufen.“ Ich drehte mich um, er kniete schon und dann schoss er auf die Irren die gerade durch die Toreinfahrt hinten kamen. Es mochten zwanzig sein und ich wusste, hier entschied es sich…mal wieder. Ich lehnte die Pilotin gegen die Wand, setzte sie ab und griff zuerst die MP, dann in den Beutel und zog eine der Handflamm heraus. Griff ausklappen und damit entsichern war eins, Schuss war zwei. Die brennende Suppe klatschte in die Gruppe und sofort standen ein halbes Dutzend in Flammen, dann ein Dutzend und dann griff ich die Handgranate.
„HUCK, Handgranate, zurück.“ Er lief auf mich zu und an mir vorbei. Ich zog den Splint, ließ den Bügel wegschnappen und während der über den Boden hüfte, rollte ich die Granate ins Feuer.
„HUCK, runter.“ Ich warf mich über die Pilotin, als die Granate in die Gruppe der Brennenden rollte und dann mit einem dumpfen Schlag explodierte. Ich hörte das Prasseln der Splitter direkt im Torbogen und auch über mir. Etwas heißes fiel mir in den Nacken. Ich nahm das Gesicht wieder hoch. Der Raum am Tor war frei, wenn man die brennenden, sich noch immer bewegenden Reste ignorieren konnte. Aber da sah schon der nächste um die Ecke und ich griff wieder in den Beutel als ich das Klirren hinter mir hörte. Ich wirbelte herum, der Priester war nun doch draußen. Und das war ganz sicher ein Veränderter. Seine Schrei war mit soviel Aggressivität ausgestoßen, dass ich wusste, hier stand es auf Messers Schneide. Eine Kombination vom Schlag mit dem Kolben, dann mit dem Lauf, beides steckte der Kerl gut weg, dann hatte er seine Hände am Lauf und bei den Göttern der Hölle, der hatte mehr Kraft als ich. Ich bekam auch nicht den Lauf in sein Richtung gedreht. Das verdorrte Gesicht des Priesters, schon jetzt voll Wut und Hass verzerrt veränderte sich zu einem fast diabolischen Grinsen. Ich grinste auch, ließ los, zog die Neunmillimeter schoss genau einmal. Der Kopf explodierte genauso wie der von den Unveränderten. Als der Kerl fiel ließ er den Karabiner los. 9mm ins Halfter, Flinte herum, jetzt erst bemerkte ich, dass Huck wieder Schuss auf Schuss kommen ließ und von den nächsten, die folgten, gut ein halbes Dutzend schon wieder lagen. Ich hob die Waffe, als plötzlich von der hinten geschossen wurde. Die Kameraden waren auf dem Weg, kamen durch den Durchgang und für uns war die Kavallerie da. Die Männer formierten sich in einer Linie und schossen knieend aufgelegt, sauber Ziel für Ziel wählen, während Frenzen und Tormann die Pilotin auf das Bergetuch hoben.
„SIND SOWEIT.“ Brüllte Frenzen. Ich nickte.
„DANN LOS!“ Trimbeck war nun auch da, griff mit zu, und als wir den Durchgang verließen, raste der Panzer heran, die Heckklappe schon offen, drehte brutal auf der Hochachse, mit brüllendem Motor und quietschenden Ketten.
„SCHNELLSCHNELL“ brüllte Trimbeck und die Männer schoben die Verletzte nur auf die rechte Bank, dann schlüpften sie links rein, während ich auf dem Weg nach oben war. Trimbeck schoss wieder in den Durchgang, er würde als letzter hinten einsteigen, die nächsten waren kaum zehn Meter entfernt, das Turm MG eröffnete das Feuer und mähte einige Reihen. Die Heckklappe war längst nicht zu, als wir Gas gaben. Ich sah die Infizierten von Rechts kommen, Pfaffenstieg, und da war kein Ende zu sehen und auch aus der Nordrichtung, Burgstraße, waren es unglaublich viele und der erste Blick zeigte, dass waren Veränderte, schnell waren sie, und wie ich schon festgestellt hatte, auch sehr stark.
„DAMMSTRASSE IST ZU.“ Brüllte Korbach vorne und ich bestätigte.
„Dann links, am Parkplatz vorbei.“ Korbach hatte den Panzer mittlerweile gut im Griff. Der Marder beschleunigte, wir erwischten die Ecke der Mauer knapp nicht und wir waren auf dem kleinen Weg nach Süden.
„Leutnant Kambach muss informiert werden!“ Lipps wieder ganz ruhig über Funk und recht hatte sie. Und gut, dass sie so ruhig blieb. Ich riss die SigPi heraus und schob die Einstern-Rot hinein. Von rechts, da kam eine Gruppe unter den Bäumen her. Von wo kamen denn die jetzt her? Egal.
„Lipps, zwei Uhr, Feuer.“ Ein verkürzter Feuerbefehl enthält alles, was in einer solchen Situation nötig ist. Der Turm wirbelte herum, ich hörte die Geräusche als das MG entsichert wurde. Der Feuerstoß fegte auf weniger als zehn Metern durch die Gruppe, erst auf Bauchhöhe, dann zog sie die Waffe einen Zentimeter höher und dann durch die nächsten Köpfe. Vor uns wieder eine der Fußgängerbrücken. Einstern Rot schoss nach oben. Der Leutnant war nun aus dem Spiel, hoffte ich.
„Links vorbei, Parkplatz, drüber.“
„Da geht der Graben weiter,“ Lipps, die durch das Zielfernrohr einen anderen Blick hatte, „den Parkplatz entlang, dann rechts, dann ist da eine Autobrücke.“
„Diese Strecke, Korbach.“ Korbach blieb dicht am Gaspedal, ich sah auf die Uhr, nach Neunzehndreißig. Gut, noch zweieinhalb Stunden Zeit.
„Rechts rein.“ Das war die Strecke zu dem zwanzig, dreißig Meter breiten Kalenberger Graben. Der Panzer ging vorne in die Knie. Vor uns, zwanzig, kamen sie aus den Gebäuden und es waren viele. Von rechts, Schulkinder, von links Menschen mit OP – Kitteln, bestimmt fünfzig, sechzig, sie wurden schnell mehr. Es war, als hätte jemand eine Schleuse geöffnet. Nicht einmal dieses Krankenhaus war evakuiert worden. Bei mir entstand langsam der Eindruck, diese Evakuierungen, dass war weniger als halbherzig durchgeführt worden. Warum?
„Rückwärts marsch.“ Der Panzer fuhr wieder an.
„Links weiter, Lipps, Lüfter an.“ Die Lüfter heulten sofort los und ich sah angestrengt nach vorne. Diese Brücke würden wir nicht nutzen können. Die Straße links weiter, auch die Treidestraße, die eigentlich wieder zum Dom führte, wo ich nicht hinwollte. Wir fuhren an der Baustelle am Krankenhaus vorbei.
„Vor uns, einhundert, große Zahl.“ Lipps an der BMK. Wie ich befürchtet hatte waren da die ersten Irren schon im engen Weg, links nach Norden, Treibestraße. Aber die waren nicht gemeint, es waren eine große Zahl, die von rechts kam, die Neue Straße entlang. Ein Blick auf die Karte, da war noch ein Weg durch, der Weg dazwischen, wenn wir Glück hatten. Ich wusste, unsere Chancen hier durchzukommen waren überschaubar, die Infis waren überall.
„Lipps, Zwölf Uhr freiräumen.“ Lipps wusste was sie tat und schoss den ersten Schuss schräg gegen die Mauer links, als wir auf der Kreuzung Neue Straße, Hückedahl, Treibestraße standen, Richtung der Weiterführung der neuen Straße. Der flache Winkel ließ die Splitter mit den Splittern aus den Natursteinen der Hauswand wie eine extrem brutale Schrotladung wirken. Lipps schoss dann die rechte Hauswand an, dann wieder die Linke und im Durchgang entstand so etwas wie eine Splitterwolke oder Shrapnellwolke und dann so etwas wie eine Blutwolke und dazu ein vielstimmiger Schrei voller Wut und Hass. Die Wolke aus Blut und Gewebe wurde durch die nächsten zerrissenen Wilden bei jedem Schuss genährt.
Dann tauchten die nächsten direkt durch die Wolke auf. Es war als würden diese Wilden durch eine Nebelwand erscheinen und weiter angreifen. Zerfetzte Gesichter, manchen fehlten schon Körperteile und trotzdem, der Hass, wenn es das war und nicht nur Hunger, ließ sie nicht aufgeben.
„Feuer nach eigenem Ermessen. Korbach links, marsch.“ Sagte ich ruhig und sah zu, wie Lipps Schuss auf Schuss ruhig in die Häuserwände schoss, während Korbach langsam weiter fuhr. Ich glaube, innerhalb der ersten Sekunden wurden so mindestens fünfzig, siebzig Irre zerrissen, aber da kamen immer mehr. Das würde nichts werden.
„Jetzt Marschmarsch, Fünfzig, dann rechts rein. Turm auf zwölf Uhr, ich brauch gleich das MG.“ Korbach gab Gas, Lipps schaltete das MG und dann feuerte sich den Hückedahl entlang, räumte da auf, bevor wir die Paulinerstraße erreicht hatten. Wir rauschten rein, wir hatten Glück, keine Gegner. Nach fünfzig Meter rechts, dann links, dann waren wir auf der Brühl. Ich musste sofort reagieren und kommandierte rechts. Gute Idee? Würde sich zeigen. Aber da kamen sie schon von Norden, die nächsten und im Augenwinkel sah ich auch, sie kamen die Neue Straße entlang nun auch von Osten. Uns blieb die Südrichtung.
„Wie sind gleich wieder dort, wo wir die Innerste passiert haben.“ Trimbeck von hinten und ich bestätigte, denn recht hatte er, aber das war kein Vorteil. Die Böschung dort war ruiniert, ob wir dort noch einmal passieren konnten war mehr als fraglich. Rechts, die nächste Straße, keine Chance, da sah ich sie schon am Übergang zwischen den beiden Teilen des Kalenberger Grabens stehen, dort, wo die Männer um Leutnant Kambach…dort wurde geschossen. Ich fluchte leise, das war eine miese Sache, denn die konnte ich jetzt nicht hängenlassen.
„Korbach, rechts weiter, Marschmarsch. Lipps, MG vorwählen.“ Wir rasten den Godehardsplatz entlang, auf die Lucienvörder Straße. Ich sah die Männer des Leutnants zwischen Parkhaus und dem kleinen Cafe, sie schossen nach Süden, der Übergang, sie kamen durch den Übergang nicht durch.
„Panzer halt.“ Die nächsten Ghule kamen gerade aus dem Langelinienwall, das war direkt hinter den Männern.
Ich griff zur Turmbedienung, sagte leise HE und Lipps wählte während ich durch das Zielfernrohr blickte. Ich krümmte ab und sah, wie die Splitter einige Ghule umrissen und ich sah auch, wie die Männer vorne sich umblickten und die Gefahr erkannten. Wieder schoss ich und sie wussten nun, der Feind kam auch von hinten. Ich wechselte das Ziel, sah die Ghule, die ihnen den Durchgang nicht ermöglichten und feuerte über die Köpfe der Männer hinweg in die Gruppe hinein, gut zwanzig Schuss, einem nach dem anderen, sehr schnell, so genau wie irgend möglich, räumte tüchtig auf. Schon, weil die Männer nun auch schon nach hinten schießen mussten, die Ghule aus dem Langelinienwall kamen näher. Dann stand jemand auf und winkte und ich schoss nicht weiter. Die Männer vorne sprangen auf und rannten Richtung Süden, ihr Weg schien offen und sie verschwanden zwischen den Häusern. Mehr konnte ich für sie nicht tun. Die Ghule dort vorne wurden immer mehr, sie strömten nur so entlang des Grabens nach Süden. Schon jetzt war die Straße fast gefüllt, sicher war, dass war die letzte Chance für Kambach`s Gruppe gewesen, aber für uns galt nun, kein Durchgang möglich.
„Rückwärts marsch, Lüfter aus.“ Wir fuhren rückwärts, drehten, und fuhren wir Richtung Gelber Stern. Den Godehardsplatz passierten wir noch, als wir schon aus der Brühl, von Norden, die nächsten Ghule sahen. Das Netz zog sich zu. Viele Auswege blieben uns nicht mehr.
„Lipps, halb links, zehn Uhr, MG, niederhalten!“ Der Turm bewegte sich und schon zuckte der Strahl aus mit Leuchtspurmunition angereicherten Geschossen in die Infizierten an der Brühl. Viele waren es noch nicht, eine Garbe, und der Weg war frei. Korbach gab Gas, wir fuhren rechts, gelber Stern, da kamen uns die nächsten Entgegen, aus Richtung der Wollenweberstraße. Tatsächlich wollte ich hier ohnehin nach Süden, in die Richtung, in der wir beim letzten Mal auch geflohen waren.
„Ge…hier Silber…“ Eine völlig verstümmelte Funknachricht kam rein, ich hatte keine Zeit dafür. Ein kurzes Kommando über die Bordverständigungsanlage BV.
„Frenzen, Verbindung mit Silberfuchs oder Hühnerhabicht aufnehmen, wenn das nicht möglich ist, mit dem Turm. Nach der Lageentwicklung fragen.“
„Feind vor uns.“ Lipps von unten und ich fluchte einen Moment.
„Panzer anhalten.“ Jetzt kamen sie tatsächlich von allen Seiten. Das war die letzte Seite gewesen, die noch ein Durchbrechen ermöglicht hätte.